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Mit Abstand volles Haus
©Karin Jäckel
Am Freitagabend hatte das AutorenNetzwerk Ortenau-Elsass® in der Schulmensa hinter den Kolonaden des Offenburger Stadt- und Familienzentrums volles Haus. Rasch waren die auf Großlücke gestellten Plätze belegt und aller Augen richteten sich erwartungsvoll auf Clemens Bühler, den Leiter des Bildungszentrums Offenburg, der in seiner kleinen Begrüßungsansprache um Verständnis für Schutzmaskenpflicht und Handhygiene warb. Auch Karin Jäckel, Autorin aus Oberkirch und Leiterin des von ihr gegründeten AutorenNetzwerks, machte es kurz. Im Zentrum der ersten Veranstaltungshälfte sollte die Kappelrodecker Autorin Anita Vogel mit ihrem biographischen Heimatfilm "D'Bergnaiheri" stehen.
Es stimmte neugierig, was sie über ihren heimatkundlichen Film erzählte, den sie an diesem Abend vorführte. Auf Anregung und in Zusammenarbeit mit dem Amateur-Film-und-Foto-Club Kappelrodeck entstanden, setzt er nicht nur die als Drehbuchschreiberin und Solo-Darstellerin fungierende Interpretin in Szene, sondern auch den Frauen ihrer Familie ein Generationendenkmal.
Vor dem Hintergrund der 1920er bis 1970er Jahre spielend, durchlief die „Bergnaiheri“ alias Anita Vogel die Moden der Zeit vom Capottehütchen bis zur Geisterbraut und stichelte sich nicht nur mit der Nadel durch so manche Anpassprobe. Ob Rüschenbluse über dem Busenwunder oder ein zu wattierendes Hinterteil der allzu schlanken Grande Dame, ob heiratslustige Bewerberzumutung für die stets très chic daherkommende Schneiderin oder deren einsamer Lili-Marleen-Verschnitt im Dauerwartezustand an der Bahnhofslaterne, - keine Szene, in der es nicht vor Esprit und Koketterie im Mix mit burleskem Klamauk sprühte.
Die anschließende Pause wurde zwar durch die Schutzmaske und den Verzicht auf ein Getränk etwas beeinträchtigt, doch tat ein Schwätzle zwischendurch auch auf Abstand gut. Für Helmut Hannigs biographische Erzählung „Heimaterde“ konnte man fürwahr etwas Seelenstärkung brauchen. Seine mit brüchiger Stimme vorgetragene Erfahrung als Kriegskind mit der Mutter und zwei Brüdern auf der Flucht aus dem Sudentenland traf mitten ins Herz. Man sah sie förmlich vor sich, als sie, zu Tode erschöpft, in einem badischen Dorf ankamen, in dem sie weder willkommen waren, noch menschwürdig aufgenommen werden konnten. Hunger, Heimweh, Angst und Enge prägten das Leben in der Fremde. "Nimm meine Hand, iss ein Stück von mir", sagte die Mutter zu ihrem hungernden Sohn. "Mehr habe ich nicht." Hatte Anita Vogels „Bergnaiheri“ so manches Lachen geerntet, zog mit Helmut Hannig die berühmte Stecknadel-Stille ein, als er die Handvoll Heimaterde beschrieb, die alles war, was die Mutter von daheim gerettet hatte.
Gerd Birsner, das musikalische Kraftpaket aus „Diersche“ mit dem Blues im Blut, hatte es schwer, den Nebel aus den Gedanken zu vertreiben, der, wie in einem seiner Lieder, so dicht schien, dass der eigene Nabel darin ertrank. Doch lange dauerte es nicht, bis der Sommer mit Birsner‘schem „Schmu und ein bisschen Hölderlin“ seine nackten Knie „wie Marilyn“ zeigte und dem Publikum einheizte. Wie gern der Gerd mit der Monika Mund-zu-Mund-Beatmung schnuffelt und wie wundersam der „Sternenhimmel als größtes Bilderbuch der Welt“ für einen leuchtet, dem die Beatles einst sein Motto „jeschde nie“ geklaut haben, rockte bis runter zum „Hans im Schnoogeloch“ und rauf bis zum schmusigen „Badischen Himmel“.
„Zuhören mögen hätte man noch lange“, meinte eine der Damen im Publikum, die sich das Heimgehen mit Birsners brandneuer CD versüßte. Und dabei strahlten ihre Augen über der Maske wie die berühmten Fensterlein, die Gottfried Keller einst besungen hatte. Ohne Maske wäre dieser Glanz vielleicht gar nicht aufgefallen.